Alben der Woche: Christliche Tranzendenz im Doppelpack
«Saved!» von Reverend Kristen Michael Hayter
«Some Mississippi Sunday Morning» von Parchman Prison Prayer
Wir begegnen diesen Herbst zwei extremen Ausprägungen von christlicher Musik, die nicht unterschiedlicher sein könnten. Auf der einen Seite steht Saved!, auf dem sich Reverend Kristen Michael Hayter (ehem. Lingua Ignota) mit gewohntem Pathos und abrasiven Klängen an Himmel, Hölle und Erde abarbeitet. Dagegen wirkt Some Mississippi Sunday Morning zwar verhaltener, aber nicht weniger erschütternd: Die schlichte Gospel-Aufnahmen stammen vom Gottesdienst, den Insassen im notorischen Parchman Farm Sonntag für Sonntag abhalten.
Eine Gegenüberstellung lässt nicht nur über die Rolle oder Funktion von religiöser Musik nachdenken, sie provoziert auch eine Frage: Wie ‹authentisch› sollen diese Alben sein? Kristen Hayter schlüpft zwar mit etwas dick aufgetragener Emphase in die Rolle des Reverends, doch ist von Ironie keine Spur zu hören – stattdessen hat sie ihr Album so bearbeitet, dass es möglichst kaputt und nicht selten nach ausgegrabenen Tonbändern klingt. Auf den Aufnahmen aus dem Parchman Farm bleibt Produzent Ian Brennan hingegen so gut wie unsichtbar, als wäre das Album ohne jegliches Zutun von aussen entstanden. Doch auch ein noch so ungeschontes Tondokument entsteht nicht in einem Vakuum – davon zeugt nicht zuletzt die Mitwirkung eines Labels wie Glitterbeat, das sonst eher dafür bekannt ist, «Vibrant Global Sounds» an ein westliches Publikum zu bringen. Wenn Kristen Hayters Musik bis vor kurzem das unangehme Gefühl aufkommen liess, man würde einer Trauma-Aufarbeitung allzu nahe begleiten, so ist man bei Some Mississippi Sunday Morning mindestens so verunsichtert, wie und ob man diese Musik denn auf sich wirken lassen kann oder soll.
Ausgewählt von Simeon Thompson